Dieses Interview wurde im August 2013 vom Herausgeber der Zeitschrift Tattva Viveka Ronald Englert mit Sundar Robert Dreyfus geführt und in der Nr. 62 Feb 2015 veröffentlicht.

Abdruck mit Genehmigung von Tattva Viveka

Sundar Robert Dreyfus
Die spirituelle Familie
Interview mit dem Gründer des »Zentrums der Einheit Schweibenalp«

Spirituelle Gemeinschaften verstehen sich als alternativer Lebensentwurf. Das Zentrum der Einheit existiert schon über 30 Jahre und hat viele Wandlungen erlebt. Die Evolution des Menschen, Spiritualität, zwischenmenschliche Beziehungen, Ökologie und Ökonomie sind die fünf großen Themen dieses Projektes. Die Redaktion sprach mit dem Gründer über Menschliches, Göttliches und die Verbindung von allem.

Tattva Viveka: Wir sind hier an einem wunderschönen Ort hoch in den Bergen über dem Brienzer See in der Schweiz. Wie ist es zu diesem Begegnungsort gekommen?

Sundar: Das »Zentrum der Einheit Schweibenalp« ist seit über 30 Jahren ein Begegnungsort der geistigen Strömungen – der geistigen Strömungen der Vergangenheit, der Gegenwart, der Zukunft und der geistigen Wahrheiten der Ewigkeit des Sanatana Dharma. Das Zentrum der Einheit ist kein theoretischer Ort. Alles was wir hier bearbeiten, wird sowohl geistig als auch im Zwischenmenschlichen und in der materiellen Umsetzung in der Praxis studiert und experimentiert. Das ist, was uns ausmacht: dass wir uns zur Aufgabe setzten, etwas umzusetzen. Das hat sehr viel mit dem Initiator dieses Projekts zu tun, Haidakhan Baba – auch Sri Mahavatar Babaji genannt –, der mir vor 33 Jahren den Auftrag gegeben hat, hier in der Schweiz einen Ashram und ein Zentrum zu gründen, das auch zeitweise als eine spirituelle Akademie des Westens bezeichnet wurde. Eine spirituelle Akademie ist immer eine Akademie, in der das gelebt werden muss, was theoretische und konzeptionelle Grundlagen sind.

TV: Wie ist der Impuls entstanden? Was stand spirituell dahinter? Wie ist deine Begegnung mit Haidakhan Babaji verlaufen?

Sundar: Ich bin als Arzt und Psychotherapeut ausgebildet und habe hebräische Wurzeln. Ich habe mich in jungen Jahren intensiv mit dem Buddhismus und mit Christus befasst, insbesondere habe ich viele Jahre Vipassana Meditation praktiziert und den Theravada-Buddhismus studiert. Ich bin zudem ein Mensch, der politisch denkt und aktiv ist und habe in den 68er-Jahren und danach die psychedelische Revolution mitgemacht. Ich habe bewusstseinserweiternde Substanzen nicht konsumiert, sondern damit experimentiert und dabei auch in Welten des Innern geschaut. Schon sehr früh, Ende 60er und Anfang der 70er habe ich mich dem Studium des Yoga, der Kabbala und verschiedenen anderen Schulen zugewandt.

In einer großen Lebenskrise 1979 habe ich mich zu Haidakhan Babaji nach Indien gerufen gefühlt. Ich wusste eigentlich nicht genau, was ein Avatar ist. Ob es ein Shiva-Avatar ist, war mir in dem Moment egal. Ich war in einer schweren Krise, obwohl ich als Arzt arbeitete und mein eigenes Institut hatte. Das war nach außen nicht so sichtbar.

In der Begegnung mit Haidakhan Babaji erfuhr ich zum ersten Mal den spirituellen Aspekt des Bhakti, der Hingabe, als ein Yoga. Ich machte die Gotteserfahrung, die mein Leben komplett verändert hat.

Ich kann nur sagen, dass diese Begegnung die wichtigste Begebenheit in meinem Leben ist und dass ich in den letzten 30 Jahren eigentlich immer mehr diese Erfahrung und dieses Wesen in mir aufnehme. Ich fühle mich Babaji heute näher als je zuvor, ohne dass er außen als eine Figur oder als eine Form noch irgendeine Wichtigkeit hätte. Nicht, dass ich nicht deshalb weiterhin Pujas, Feuerzeremonien oder Mantra-Meditation auf der Gebetskette mache, aber es ist eher, um mit einer Form zu arbeiten. Ich glaube, dass Meditation, Ritual Gebet – spirituelle Praxis/Übung hilfreich und für Menschen auf dem Weg sehr wichtig sind und ein wichtiger Weg zu sich selbst. Ich denke, die meisten Menschen, die sich auf diesem Weg befinden, brauchen längere Phasen, in denen sie disziplinierte Praxisbegleitet und hilft, vorwärtszukommen.

Nachdem ich zuerst im Auftrage Babajis geholfen hatte, in Italien einen Ashram aufzubauen, sagte er mir nach zwei Jahren, ich solle nun in der Schweiz ein Zentrum und einen Ashram gründen, wo sowohl das Weltliche/Mentale sowie das Spirituelle erfahrbar ist. Mehr hat er mir eigentlich nie gesagt. Bei weiteren Fragen vermied er die Antworten. Er wollte eindeutig, dass ich in mir spüre, wie es sein muss. Dies hat sich nachher als richtig erwiesen, weil er 1984 ja schon seinen Körper verlassen hat. Ich habe dann diesen Ort hier im Berner Oberland gefunden und eine Stiftung gegründet, die diesen gekauft hat. Es war ein alter, relativ heruntergekommener Ort, doch immerhin ein Anwesen mit 10 ha Wald, 10 ha Land und vier Häusern, am Nordhang auf 1.100 Metern gelegen, wunderschön an einem Bach nahe des Brienzer Sees. Ich zog dann einfach mit einer kleinen Puja-Ausrüstung, mit meiner Motorsäge und meiner Schubkarre hier ein und fing an zu arbeiten und zu praktizieren. Dann kamen sehr viele Menschen und ich denke, dass damals mein Enthusiasmus, meine Hingabe und mein Pioniergeist sehr stark waren. Ich war 35 Jahre alt und die Begegnung mit Babaji hatte alle meine Zellen aktiviert. Der Ort ist zu einem richtigen Pionierort geworden. Viele Menschen kamen, es hat damals noch nicht viele solcher Zentren in Europa gegeben. Wir sind ja auch das »Zentrum der Einheit«, d. h., von Anfang an haben wir Juden, Christen, Moslems, Buddhisten, Hindus und Menschen aus den eingeborenen Traditionen, aus China und Afrika willkommen geheißen, sowie überhaupt alle Menschen, die suchen, und eigentlich alle Menschen, die sich der spirituellen Familie der Erde zugehörig fühlen oder sie suchen. Das ist, denke ich, eine der ganz wichtigen Aufgaben der Schweibenalp, eine Heimstätte für die globale spirituelle Familie zu sein.Da gibt es so viele Varianten, so wie eine Küche viele verschiedene Varianten hat, von Schokoladenpudding über die Himbeercreme über die scharfen Spagetti-Saucen, ja so viele wunderbare Dinge, die man gar nicht wirklich vergleichen kann, und so wie der Wald viele Tiere und Vögel hat und die Musik viele verschiedene Ausdrucksformen kennt, so hat auch die geistige Welt verschiedene Ausdrucksformen und so gibt es auch verschiedene spirituelle Wege, die zum Glück so vielfältig sind, dass die Menschen, welche verschiedene Charaktere, verschiedene Talente und verschiedene Vorzüge mitbringen, alle eine Möglichkeit haben, irgendwo einen Geschmack zu finden, der sie anzieht, der sie zum Göttlichen verführt. Insofern war die Aufgabe vom »Zentrum der Einheit« ein alter Traum von mir. Ob dies nun von Anfang an eine von der höheren Welt mir eingegebener Auftrag war oder mein eigener Traum, den mir das Göttliche nochmals eingepflanzt hat und mir den Mut gegeben hat, ihn umzusetzen, kann ich nicht sagen. Schon viele Male habe ich mich gefragt, wie ich mir das habe aufhalsen können, weil so etwas wie »Zentrum der Einheit« so wunderbar es klingt, eigentlich paradox ist. Allein schon durch den Namen wird es ein Zentrum der Vielfalt werden, weil die Einheit bedeutet, dass alle kommen können. Und dann wird manifest, wie vielfältig und verschieden wir sind. Und so sind wir eigentlich immer ein Haufen unglaublich verschiedener Menschen, die hierherkommen, und wir veranstalten eben auch eine Menge von Seminaren und Festivals von verschiedenem Charakter, sodass der Ort wirklich diesen großen Blumenstrauß darstellt, der auf der Welt existiert. Das ist natürlich in der Praxis eine große Herausforderung.

TV: Angewandte Dialektik von Einheit und Verschiedenheit.

Sundar: Oder Einzigartigkeit und Vielfalt – ich würde sagen: Die Einzigartigkeit ist das Wunder. Gleichzeitig die Einheit und die Einzigartigkeit eines jeden zu zelebrieren, da kommen das Individuelle und das Kollektive zum Zug und das ist schon eine wichtige Arbeit, sowohl das Einzigartige eines jeden als auch die Vielfalt des Kollektivs und der ganzen Menschheit zu fördern. Wir sind auch wirklich ganz bewusst damit beschäftigt, dass jeder an sich arbeiten kann, dass wir hier an der Gemeinschaft des Ortes mitwirken, so wie wir gleichzeitig auch ganz klar Teil eines weltweiten Netzwerks sind. Wir sehen uns in keiner Weise als etwas Alleinstehendes, sondern definieren uns als ein Sammelpunkt in einem weltweiten Netzwerk von entstehenden Gemeinschaften, die ein neues Bewusstsein, eine neue Lebenskultur auf der Erde manifestieren möchten.

Die Schweibenalp, das Zentrum der Einheit, war die ersten 25 Jahre der Entwicklung des Einzelnen, der Entfaltung des Netzwerks, aber auch ganz stark der interreligiösen und interkulturellen Friedensarbeit geweiht. Es war unser erster Auftrag, interreligiöse Friedensarbeit und interkulturelle Arbeit zu machen und dafür ein morphogenetisches Feld aufzubauen. Dazu haben wir Menschen aus allen Traditionen eingeladen und haben zusammen gefeiert, zusammen gebetet, zusammen gesprochen, getanzt und gesungen. Das war eine schöne Zeit und dieser Geist hat sich dann auch in großen Teilen der Erde manifestiert. Heute gibt es kaum eine Stadt, in der nicht Einheitsgottesdienste stattfinden, wo Moslems und Christen, Juden und Hindus zusammenkommen und diese höhere Einheit manifestieren.

Vor etwa 10 Jahren hat sich der Fokus der Schweibenalp verändert, und etwas von dieser interreligiösen Friedensarbeit wegbewegt, bzw. haben wir uns eigentlich vom traditionell Religiösen und Spirituellen ein bisschen abgelöst. Der Auftrag war erfüllt, soweit gerade möglich. Wir sollten uns in der kommenden Zeit für alle gesellschaftlichen Gruppen öffnen. Früher war unser ganzes Anwesen ein Ashram bzw. ein Tempel. Jetzt hat sich der Ashram bewusst in einen kleineren Bereich zurückgezogen, wo Tempel und Feuerstelle sind, und der Rest des Ortes ist nicht mehr sakral, sondern sehr weltlich. Eigentlich sind wir heute darauf ausgerichtet, bei der Erschaffung neuer Modelle des Zusammenlebens mitzuwirken. Wir glauben, dass sich das Zivilisationssystem, wie es auf der Erde existiert, im Moment selbst zerstört, so wie sich unseres Erachtens schon mehrere Zivilisationen vorher zerstört haben. Dennoch möchten wir darauf hinwirken, dass der Mensch lernt, auf andere Art und Weise zusammen mit anderen zu leben. Deswegen fokussieren wir uns jetzt auf vier Aspekte. Erstens auf die Ökologie, das bedeutet für uns zu lernen, wirklich nachhaltig mit den Ressourcen der Natur umzugehen und mit der Natur in Frieden und in Harmonie zu leben. Als Zweites fokussieren wir uns auf Ökonomie. Wie können wir miteinander teilen? Wie können wir Systeme finden, in denen der Fluss der Energie offen, transparent und gerecht untereinander ist, mit uns in der Gemeinschaft? Das äußert sich heute zum Beispiel darin, dass wir keine Löhne mehr haben, sondern jeder sagt, was er braucht, und wir teilen so das, was wir erwirtschaften.(Anmerkung Juni 2015: Dies ist heute schon nicht mehr so. Leider sind wir menschlich noch nicht weit genug entwickelt und als Gemeinschaft nicht stabil genug, um diesen Versuch weiterzuführen) Natürlich geht ein Teil als Spenden nach außen und in Programme, die finanziell nichts bringen oder sogar von uns finanziert werden müssen, wie die Arbeit mit den jungen Menschen, die noch kein großes Einkommen haben. Das Gleiche geschieht in unseren Arbeitsabläufen, in denen wir anfangen, mit einer ganz flachen Hierarchie zu arbeiten. Das sind alles Experimente, die wir eben als Gemeinschaft machen können, und die in der Welt sonst sehr schwierig zu machen sind, wenn man einzeln oder ganz stark im Geflecht ist. Insofern sehen wir Gemeinschaften im Moment als nützliches Werkzeug, um Modelle auszuprobieren.

Im Aspekt des Sozialen, geht es darum, das Zusammenleben, die Beziehungen zwischen Mann und Frau, zwischen Kind, Mann und Frau, die Beziehungen untereinander, die Entscheidungsprozesse aller Beteiligten sowie die persönlichen Fragen, die wir haben, tolerant, offen und transparent anzuschauen.

Der vierte Aspekt ist die Spiritualität. Wie kann heute eine Spiritualität entstehen, die sich nicht unbedingt auf alte Traditionen und Kulturen stützt, sondern eine universelle moderne Sprache hat? Ist das möglich oder ist es nicht möglich?

Insofern sind wir mit den vier Aspekten am Experimentieren. Das machen wir auch im Außen mit einer Plattform, die wir »Green Phönix« nennen. Wir veranstalten Konferenzen, bei denen viele Einzelne und Gemeinschaften zusammenkommen, um zu schauen, wie wir Kohärenz zwischen den ökologischen, ökonomischen, sozialen und spirituellen Aspekten bekommen können. Denn wir glauben, dass es nicht funktionieren wird, wenn nicht alles zusammenhängt. Insofern sind wir auch in sehr naher Zusammenarbeit mit dem GEN, dem Global Ecovillage Network. Natürlich haben die traditionellen spirituellen Systeme, wenn sie ganz rein gelebt werden, das alles in sich. Ein traditionell nach dem Talmud und der Thora lebender Jude oder ein traditioneller Vaishnava, der nach den Schriften lebt, weiß ganz genau, wie er ökonomisch, ökologisch, sozial und spirituell zu leben hat. Aber wir haben heute eine neue Zeitqualität, und so versuchen wir eine Sprache zu finden, die diese verschiedenen Traditionen transzendiert.

TV: Ich habe eine praktische Frage: Wie viele Leute leben jetzt hier und wie lange leben sie hier schon? Wie viele arbeiten hier?

Sundar: Auf der Schweibenalp leben etwa 25 Menschen und wir haben meist etwa 10–20 Volontäre, die uns sehr unterstützen und meist Menschen in einer Übergangszeit sind von verschiedenen Lebensphasen für die dieser Transformationsort sehr geeignet ist. Im Winter werden das etwas weniger, weil die Permakultur bei einem Meter Schnee auf 1.100 Metern schläft und weil der Seminarbetrieb kleiner ist. Es ist aber geplant, dass diese Gemeinschaft in den nächsten 5–10 Jahren auf 40–50 Menschen wachsen kann. Wir haben jetzt die Bewilligung, hier Gebäude zu erstellen, und es ist unser Ziel, als Gemeinschaft ein bisschen größer zu werden.

TV: Leben die Menschen schon länger hier? Was ist die durchschnittliche Präsenzdauer?

Sundar: Das ist eine Frage, die wir uns auch immer wieder stellen. Dadurch, dass wir uns so entwickelt und verändert haben, haben auch die Bewohner gewechselt. Während der ersten 20–25 Jahre, wo der Ashram-Charakter im Zentrum vorherrschend war, waren die Leute zwischen einem und 15 Jahre hier, sind dann aber meist weitergezogen. Der Ort hatte seine Funktion, transformierend zu wirken, das war zentral und die Gemeinschaft war eher auf Zeit. In den letzten zehn Jahren entstand der Fokus: es wäre schön, wenn wir eine feste Gemeinschaft hätten. Das scheint aber nicht so einfach zu sein. An diesem Ort gibt es einige Anforderungen sowohl vom Energetischen her, weil z. B. eine ganz starke Kraft am Ort existiert, die einen ständig spiegelt, wie auch in Form des nicht ganz leichten Jahresklimas oder des sehr einfachen Wohnens. Diese Faktoren verursachen, dass wir noch nicht viele Menschen haben, die sehr lange hier sind.

TV: Außer dir.

Sundar: Außer mir, aber ich war auch 15 Jahre weg. Ich bin der Gründer, ich habe den Auftrag erhalten, das zu tun. Ich bin dann nach zehn Jahren, nachdem das Haus in seiner ersten Blüte stand, mit meiner Frau und drei kleinen Kindern für 15 Jahre weggezogen, weil wir die Kinder in der normalen Welt aufziehen wollten, und habe aus der Umgebung und durch die Leitungsaufgaben mitgewirkt. Der Ort ist nicht so groß, dass wir ein paar hundert Leute mit einer eigenen Schulrealität wie in Auroville, Findhorn oder Damanhur sein können. Wir sind eben nur 30 Leute. Wir haben es zuerst mit einer Schule versucht und zehn Kinder gehabt, aber dann das Gefühl bekommen, dass die Kinder sich auch in der Welt integrieren sollten. Wir sind dann hinunter ins Tal gezogen. Es waren vier oder fünf Familien und wir haben uns in der Nähe niedergelassen. Für uns alle ist der Ort immer noch ein wichtiger Ort, aber wir haben dann in der Welt gelebt. Ich bin ja Arzt und habe in der Funktion gearbeitet und bin dann einmal in der Woche da gewesen und für Sitzungen und größere Anlässe gekommen.

TV: Ihr macht jetzt viel mit der Permakultur. Da habt ihr ziemlich viele Ausbildungen, es gibt eine Organisation. Gehört diese direkt zum Haus oder ist sie etwas Eigenständiges?

Sundar: Die Permakultur ist ein Teil von uns. Wir haben verschiedene Bereiche. Der Bereich des Seminarzentrums ist unser ökonomischer Bereich. Hier verdienen wir das Geld, damit wir leben können. Hier lernen wir auch, wie wir mit Energie und anderen Menschen und untereinander am besten umgehen. Die Kurse, die hier stattfinden, werden zu 80 Prozent von anderen veranstaltet. Aber sie sind alle aus den Bereichen spirituelle Kunst, spirituelles Heilen, spirituelle Praxis und spirituelle Wissenschaft. Die Permakultur ist die Manifestation in der Natur. Als wir Permakultur kennengelernt haben, hatten wir das Gefühl, dass sie eine Revolution in der Landwirtschaft, im Umgang mit der Natur ist, die sehr umfassend sein kann. Wir wollten unsere 20 Hektar diesem Konzept zur Verfügung stellen. Wir haben ein paar Menschen, die das machen, aber es ist ein schwieriger und langer Weg, bis die Permakultur selbsttragend wird. Die Permakultur ist sozial gesehen ein wichtiges Standbein geworden. Gerade die Manifestation der Permakultur, unsere Liebe für die Erde, hat unabsichtlich unsere Beziehung zur Umgebung und zu den anderen Menschen unglaublich verbessert. Wir manifestieren unsere Liebe genauso im Spirituellen und in den Kursen wie in der Permakultur, aber das war für die Umgebung in den Dörfern nicht so leicht zu verstehen. Seitdem die Permakultur ein wichtiges Standbein geworden ist, haben die Menschen in den Dörfern der Umgebung viel besseren Zugang zu uns gefunden. Das hat sicher auch dabei geholfen, dass wir jetzt steuerbefreit sind und eine gewisse Anerkennung bekommen. Wir haben da etwas geschenkt bekommen, was in keiner Weise strategisch geplant war.

TV: Wie sind so die Gemeinschaftsprozesse? Du hast im Vorgespräch gesagt, dass man viel über die Menschen lernt. Ihr habt sicher auch schon Konflikte gehabt? Was sind für eine Gemeinschaft die Stolpersteine, auf die man achten muss?

Sundar: Wir alle wissen ja, was es heißt, mit anderen Menschen zu leben, denn wir sind alle in eine Familie geboren oder wenn nicht, sind wir in einer Pflegefamilie gewesen. Und wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, in einer Familie zu leben, besonders wenn kein spirituelles Bewusstsein herrscht. Und leider sind die wenigsten von uns in einer spirituellen Familie groß geworden, in der von Anfang an Sanatana Dharma, das ewige Gesetz der Liebe, der Großzügigkeit, aber auch der Disziplin geherrscht hat. Leider sind auch viele spirituelle Familien dogmatisch oder autoritär geführt und ich denke, dass Glaube und Autorität etwas Natürliches sein sollten. Während wir im normalen Leben rausgehen und unsere Freunde wählen und auch die Begegnung und die Berührung genau dosieren können, indem wir z. B. die Haustüre abschließen, ist das Leben in einer Gemeinschaft etwas anders. Das Herausfordernde an einer Gemeinschaft ist, dass Menschen wegen eines Ziels oder Zwecks zusammenkommen und nicht, weil sie sich jetzt gerade besonders sympathisch sind. Deshalb hat man in einer Gemeinschaft eine Art kunterbunter Versammlung von Menschen ganz verschiedener Herkunft, und diese müssen lernen, miteinander nicht nur auszukommen, sondern in Freundschaft und Liebe zu sein. Dadurch, dass jeder Mensch sein eigenes Programm hat, stören ihn viele Dinge an den anderen. Der eine möchte, dass das Fenster offen ist, der andere möchte es geschlossen haben. Der eine liebt es gesalzen, der andere ungesalzen. Die Standards der Sauberkeit, der Lautstärke usw. sind bei allen Menschen so verschieden. Was der eine als nah empfindet, ist dem anderen noch viel zu weit weg. Ich z. B. bin ein sehr temperamentvoller, eher heißblütiger Mensch, ich kann sehr viel Nähe ertragen und liebe Nähe mit Menschen, aber viele der Mitbewohner brauchen eher Distanz und empfinden es immer noch als genug Nähe. Alle diese Themen werden in einer Gemeinschaft angeschlagen und die Frage ist: Wie geht man damit um? Wir haben gelernt, dass Kommunikation und Transparenz das Wichtigste sind. Das heißt, dass wir einander sagen, was wir spüren, was wir denken, und dass wir von uns selbst reden und nicht von den anderen. Das ist anstrengend und aufwendig und so wird Gemeinschaft leicht zu einer sehr großen Herausforderung. Der Einzelne lernt sehr viel über sich und über die anderen, aber es gibt viele, die nach einer gewissen Zeit den Wunsch haben, lieber in einer kleineren Umgebung oder für sich allein zu leben. Treu bleibt man dieser Lebensform nur, wenn man die Überzeugung hat, dass diese Lernprozesse für die Gesamtmenschliche Kultur wesentlich sind und man deren Evolution unterstützen möchte. Mit der Zeit wird die Gemeinschaft eine bestimmte Struktur bekommen, in der die Nähe dosiert ist. Vielleicht wird die Schweibenalp mit der Zeit etwas Dörfliches haben. Trotzdem ist die Gemeinschaft der Menschen, die ein gemeinsames Ziel haben, etwas sehr Kraftvolles. Es können sehr viele kraftvolle und positive Erfahrungen daraus erwachsen.

TV: Wie siehst du das mit der Nähe? Da macht ihr sicherlich viele Erfahrungen. Gibt es da eine Konstante für das einzelne individuelle menschliche Wesen, für den einzelnen Menschen, oder kann man an dieser Fähigkeit zur Nähe bei sich selbst etwas verändern? Hat es was mit Gesundheit oder mit innerer Einstellung zu tun, wenn man mehr Nähe aushält und mehr um sich herum tolerieren kann, z. B. indem man mehr bei sich ist?

Sundar: Das ist sicher sehr rhythmisch. So wie wir im Winter hier fast sechs Monate eine weiße Landschaft haben, eigentlich eine weiße Wüste, unglaublich still und meditativ bei blauem Himmel, ist hier im Sommer die Farbenpracht der Blumen, die Kraft der Natur unglaublich ausgeprägt. Ich denke, so geht es auch dem Menschen. Es gibt Zeiten des Rückzugs und Zeiten, wo wir miteinander zusammen sein wollen. Und jeder hat einen anderen Zyklus. Wir lernen es, den anderen mitzuteilen, wo wir sind. So ist es von Moment zu Moment verschieden. Und doch gibt es kleine Untergruppen. Wir haben jetzt z. B. Menschen, die mehr nach spirituellen Gesetzen leben möchten und nicht wollen, dass in ihrer Umgebung Fleisch, Alkohol und Zigaretten konsumiert werden. Sie möchten früh schlafen gehen und viel meditieren. Deshalb leben sie in einem Haus zusammen, das wie ein Ashram-Haus ist. Andere sagen, im Moment ist es Zeit für uns, dass wir uns mehr der Welt hingeben und offener sind, und leben zusammen in einem anderen Haus. Sie sind alle Teile der Gemeinschaft. Solche Dinge sind in einem stetigen Wandel, gerade heute in einem Zeitalter, in dem jeder Mensch drei oder vier Berufe im Leben praktiziert und immer mal wieder woanders hinzieht – wo eine große Fluktuation stattfindet. Für mich ist die Gemeinschaft die ganze Schöpfung.

TV: Da lernt ihr dann in der gemeinschaftlichen Praxis, mit diesen verschiedenen Weltanschauungen und Lebenskonzepten umzugehen und zwangsläufig jede Art von Dogmatismus hinter euch zu lassen?

Sundar: Ich denke, es gibt zwei Arten von Gemeinschaften. Es gibt die Gemeinschaften, die sich klar einem System unterordnen und dieses System in Reinheit miteinander leben. Das ist die Manifestation einer ganz reinen Substanz. Ich finde, das ist etwas sehr Wertvolles. Die Gefahr dabei ist aber für den Einzelnen, sich selbst, sein authentisches einzigartiges Ich, zu verraten und zu verlieren und zu einer Funktion des Systems zu werden – ähnlich wie in der materialistischen Welt, aber nur in einem spirituellen Rahmen oder Dogma. Und dann gibt es Gemeinschaften, die alle Archetypen der Erde miteinander kombinieren. Das ist eher unsere Arbeit. Wenn ich an meinen Lehrer Babaji und uns als Schüler denke, dann war mir immer klar, es gibt keine unterschiedlichere Gemeinschaft als die Schüler von ihm. Als ob er von jeder Art Mensch, die es gibt, einen gerufen hätte, um eine Gemeinschaft zu bilden, wo exemplarisch die verschiedenen Menschentypen lernen müssen, miteinander in Frieden zu kommen und in Liebe zu kommunizieren. Das ist für mich dieses morphogenetische Feld, das sich dann auf der Erde manifestiert und in dem alle verschiedenen Typen lernen, miteinander umzugehen. Wir sind ja heute an einem Punkt angekommen, der historisch einmalig ist, da wir theoretisch alle gleichzeitig miteinander in Kommunikation sein können. Wir wissen nach drei Minuten, was in der Mongolei, in Indonesien und in Kolumbien geschieht. Das heißt, es gibt nur noch eine Welt, während man vor 1.000 oder 500 Jahren Kontinente entdeckte und von Leuten, die anders aussahen, dachte, sie seien gar keine richtigen Menschen. Schwarze wurden nicht wirklich als Menschen angesehen, sonst hätte man sie nicht versklavt, ebenso Indianer, die zu Millionen hingemetzelt wurden. Insofern hat die Menschheit schon einen Schritt gemacht. Wir sind uns bewusst, dass wir auf diesem Planeten eine Menschheit sind, und wir könnten auch den Schulterschluss schaffen und sagen: Okay, wir tragen gemeinsam die Verantwortung, dass wir alle zu essen bekommen, Schutz vor der Natur haben, medikamentös einigermaßen unterstützt sind und Erziehung erhalten. Und wir könnten alle eine Gemeinschaft sein. Um die verschiedenen Bewusstseine zusammenzubringen, muss das zuerst an verschiedenen Orten exemplarisch stattfinden. Und dazu sind diese Gemeinschaften heute auch da.

TV: Was uns noch mal zum Begriff der Spiritualität führt. Wie sieht für Dich eine neue oder globale Spiritualität aus?

Sundar: Jetzt gerade haben wir hier ein Bhakti-Festival mit 250 Devotees von Lord Krishna und Radha, und ich bin sehr berührt. Diese hingegebenen Krishnas manifestieren eine ganz hohe energetische Frequenz, die Frequenz einer unglaublich starken Gottesliebe, und das Feld, das dabei entsteht, ist von einer Subtilität, Raffinesse und Schönheit, die seinesgleichen sucht. Die Philosophie der Bhaktas ist, dass wir hier in einer sehr minderen Welt leben und es eigentlich unser Ziel ist, unsere transzendente Realität zu verwirklichen und in einer viel höheren transzendenten Welt zu leben, sodass wir aus dieser Welt des Leidens und der Beschränkung herauskommen. Die Entwicklung dahin ist eine unglaublich konsequente Entwicklung des Gottesbewusstseins und der Gottesliebe, um überhaupt in die Welten zu kommen, die aus Gottesliebe bestehen.

Wir Menschen hingegen leben hier auf der Erde am Rande einer Galaxie in einem dichten Universum auf einem dichten Planeten, auf dem die Entropie, also die ständige Selbstzerstörung der Substanz in sich, genauso stark ist wie die Manifestation der göttlichen Schönheit. Das sind ganz unterschiedliche Bedingungen. Deshalb gibt es nicht nur eine Spiritualität, sondern ganz viele spirituelle Szenarien und Metaphern. Es gibt die hinduistische, hebräische oder christliche Metapher, der zufolge wir in einer niedrigeren Welt leben und uns durch gute Taten und das Verbinden mit der höheren Realität langsam befreien. Insofern ist eine Spiritualität, die höhere Welten als Ziel sieht, anders als die Spiritualität, die als Ziel die Auflösung in einem Nichts oder Einheit sieht, und anders als eine Spiritualität, die einfach nur zum Ziel hat, gute Taten zu üben und ein gutes Leben auf dieser Erde zu führen.

Es gibt auch eine Form von Spiritualität, die davon ausgeht, dass wir Co-Kreatoren sind und auch diese Erde durch unsere Liebe gewandelt werden kann. Die Materie ist nicht grundsätzlich niedriger als der Geist, sondern die Materie ist verdichteter Geist und durch unsere Liebe kann sie eine Erhöhung erfahren und so kann eine Art Paradies entstehen, in dem die Lebewesen in Frieden und Glück miteinander leben können.

Spiritualität besteht für mich wie in fast allen Traditionen aus zwei Pfeilern. Der erste Pfeiler ist die Ethik, die Moralität, das Mitgefühl, in dem wir einen Teil unserer Energie der Hingabe der Schöpfung und den anderen Wesen widmen, um hier so liebevoll wie möglich zu wirken, ohne am Verdienst zu hängen; und der zweite Pfeiler ist die Beziehung zur Transzendenz, dass wir uns mit dem Ursprung verbinden und diese Verbindung immer reiner und klarer erfahren.

TV: Du sprichst von der Art von Spiritualität, in der es darum geht, diese Erde zu einem spirituellen Ort zu machen. Kann es sein, dass wir in dieser menschlichen Lebensform, im Unterschied zur spirituellen Lebensform, wo man von der Welt weg sein möchte, die Chance haben, hier in diesem Leben etwas zu bewirken, und dass wir eigentlich schon da sind, wo wir hinwollen? Wir haben es bloß noch nicht gemerkt.

Sundar: Ich denke, dass der Himmel nicht woanders ist als hier, in uns. Ich erfahre, dass jeder Mensch ein Mikrokosmos ist, in dem es alle Lokas, alle heiligen Orte, gibt. Alle Lokas sind in mir existent und ich muss nicht warten, bis ich aus dem Körper gehe. Wenn Krishna, Babaji oder Jesus Christus auf der Erde leben, heißt das nicht, dass sie nicht gleichzeitig ganz bewusst in ganz hohen Universen auf anderen Frequenzen an der Schöpfung vieler Welten teilhaben. Ich glaube an ein »sowohl als auch« und an die Möglichkeit des Menschen, nicht nur auf dieser Erde, sondern gleichzeitig in anderen Ebenen tätig und vorhanden zu sein. Und deshalb ist es nicht ein »entweder oder«, das erst eintritt, wenn man stirbt oder wenn man Gutes tut. Ich glaube, dass wir alle einen Atemzug oder einen Gedanken entfernt von einer ganz hohen Erfahrung stehen.Einerseits kann das viel Arbeit sein, andererseits gibt ja auch die Gnade. Da sind die traditionellen Zugänge durch die großen Offenbarungen, die der Menschheit in den letzten Jahrtausenden gegeben wurden, allem anderen weit überlegen. Und auch wenn ich mich hier experimentell mit neuen Formen des Lebens befasse, wäre es absurd, wenn ich nicht gleichzeitig in meinem Herzen ganz klar den Bezug zu den großen Quellen meines Lebens wie Babaji, wie Jehova aufrechterhalten würde, weil mir auch klar ist, dass die Namen und Melodien und Lieder des Göttlichen, die Jahrtausende lang die Verbindung zwischen den Welten geschaffen haben, auch heute noch aktuell und die direktesten Wege sind.

Nach einer solchen Woche mit den Bhaktas frage ich mich zudem ganz persönlich: Wie viel Einsatz für etwas anderes auf der Erde ist wirklich sinnvoll, oder sollte ich meine eigene Seele noch mehr in Resonanz mit dem Göttlichen bringen und mich ausschließlich dem widmen? Das ist eine zentrale Frage. Wenn ich aber mein Leben und das von Freunden anschaue, die sich ganz dem Spirituellen zugewendet haben, sehe ich, dass es nicht darauf ankommt.

Ich habe mich dem Sozialen gewidmet, um das hier alles aufzubauen. Babaji hat mich vor sieben Jahren zurückgerufen. Wir Babaji-Devotees treffen uns jedes Jahr zu Gurupurnima, dem Vollmond im Juli. Ich saß im Tempel und da sagte er mir plötzlich in einer Vision: Du gehst zurück auf die Schweibenalp. Kommt nicht infrage, habe ich da gedacht. Ich habe eine Freundin, suche mir einen schönen Bauernhof, werde alt und schreibe meine Bücher. Aber er sagte: Du gehst auf die Schweibenalp! Entweder du machst sie zu oder du bringst sie zu voller Blüte! Dann hat er ein paar klare, ganz offensichtliche Lilas, göttliche Spiele, mit mir gespielt. Nach zwei Wochen habe ich gesagt: Alles klar. Ich habe mein Haus verkauft, die Praxis aufgegeben und bin hochgezogen. Ich habe Gott zur Abwechslung einmal gehorcht und dafür viele Geschenke bekommen. Doch die ersten vier Jahre waren hart. Nach vier Jahren hat es sich gewandelt. Und jetzt wird es langsam immer schöner.

TV: Ich finde es sehr schön hier. Alles ist gepflegt, in Ordnung und gut in Schuss.

Sundar: Es ist Anfängerarbeit. Immer muss man sich um die Anfänge kümmern.

TV: Da gehört auch Demut dazu.

Sundar: Ja, es ist ein Demutsjob, das kann ich dir sagen. Es ist eine gute Erfahrung der Demut. Und es macht Freude, große Freude, wenn man sehen darf, was unsere gemeinsame Arbeit hier in den Herzen und Leben so vieler an Transformation bewirkt.